Inhalte
Basistexte
Gestaltung Lernprozess
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Gestaltung handlungsorientierter Lernerfolgskontrollen
von Jochen Walter
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Grundlegende Aufsätze zur Lernerfolgskontrolle im
Transferprojekt GhbRE
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Handlungsorientiertes Lernen zeichnet sich bekanntlich
durch einen hohen Grad an Selbstregulation und Autonomie im Lernvollzug
aus. Anspruchsvolle handlungsorientierte Lernarrangements sind häufig
so konzipiert,
- daß das Defiziterlebnis (bzw. der Lernanlaß),
das vielfache der Bildung von Lernzielen vorausgeht, nicht von außen
"vorgegeben", sondern vom Lerner authentisch erlebt wird,
- daß der Lerner seine Aktivitäten nicht auf ein von außen
eng vorgegebenes Lernziel ausrichtet, sondern sich auch selbst Ziele stecken
kann,
- daß er seine Handlungsplanung zur Bewältigung der Lernaufgabe
selbst erzeugt und seine Aktivitäten nicht an detailliert vorgegebenen
Anweisungen oder Aufgaben ausrichten muß.
Zu einer anspruchsvollen Lernaufgabe gehört die selbständige
Kontrolle und Bewertung des Erreichten. Diese Erfolgskontrolle sollte
demnach
- hinsichtlich Art, Umfang und Zeitpunkt vom Lernenden selbst geplant
und nicht durch äußere Vorgaben bestimmt werden,
- sich nicht auf vorgegebene Fragen und Kriterien, sondern auf vom Lerner
selbst entwickelte Erfolgskriterien stützen,
- eine vom Lerner ggf. selbst vorgenommene Fehlersuch- und Fehlerkorrektur
umfassen
- und nicht durch eine äußere Instanz überwacht werden,
die bei Schwierigkeiten oder Fehlern von sich aus eingreift.
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Grundlagen handlungsorientierter Lernerfolgskontrollen
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Dies ist sicherlich eine idealtypische Beschreibung,
der Lern- und Prüfungssituationen im Ausbildungsalltag nicht immer
gerecht werden können. Allerdings stellen immer mehr Lehrer/innen
und Ausbilder/innen die Frage, wie handlungsorientierte Lernprozesse durch
entsprechend gestaltete Lernerfolgskontrollen (also Prüfungen und
Beurteilungen) befördert werden können. Dazu ist es m. E. notwendig,
sich von einem eng gefaßten Qualifikationsbegriff, der ausschließlich
an fremdgesetzten Erfordernissen ausgerichtet ist, zu verabschieden, weil
er sowohl die im Menschen angelegten Dispositionen für neue Handlungsverläufe
als auch das autonome Handeln mit eigenen Zielsetzungen weitgehend ausblendet.
Daher wird von vielen Verfechtern einer handlungsorientierten
Berufsbildung vorzugsweise der Kompetenzbegriff verwendet. Handlungskompetenz
meint in diesem Zusammenhang die strukturierte Gesamtheit der von einem
Individuum erworbenen Handlungsschemata, ergänzt durch die Fähigkeit,
aus einer begrenzten Zahl individuell verfügbarer Handlungsschemata
neue Handlungsfolgen aufzubauen. Bei der Bewältigung komplexer beruflicher
Aufgaben kommt es nämlich darauf an, unterschiedliche Fähigkeiten
flexibel zu kombinieren. Hierfür gibt es nur zum Teil personenunabhängige
Handlungsschemata. Entscheidend ist vielmehr ein subjektives Potential,
mit komplexen Situationen erfolgreich umzugehen, wobei die Erfolgskriterien
selbst nur noch teilweise von außen beschrieben werden können,
sondern gleichermaßen vom handelnden Subjekt (also in unserem Fall:
dem Lernenden) mitdefiniert werden müssen. Lernerfolg darf deshalb
nicht als möglichst exakte Übereinstimmung von fremdgesetztem
Lernziel und fremdbewertetem Lernergebnis angesehen werden. Die Beurteilung
eines Lernerfolgs ergibt sich vielmehr aus dem Spannungsfeld zwischen
von außen gesetzten Anforderungen einerseits und den vom Lernenden
interpretierten Erfolgskriterien andererseits.
Für "handlungsorientierte Leistungsbeurteilungen"
bedeutet dies zumindest folgendes:
- Der zur Beurteilende müßte
die Möglichkeit haben, im Rahmen des Leistungserbringungsprozesses
selbst Teilziele setzen und begründen zu können. Dies könnte
unter anderem eine Einflußnahme seinerseits auf die Gestaltung der
Aufgabenstellung, die der Leistungsbeurteilung zugrunde liegen soll, bedeuten.
Auch die Erfolgskriterien könnten vom Kandidaten im Rahmen der Bearbeitung
der Aufgabe entwickelt oder modifiziert werden.
- Die der Beurteilung
zugrundeliegende Aufgabe müßte eine "vollständige
Handlung" (idealtypisch: Informieren, Planen, Durchführen, Kontrollieren,
Bewerten) beinhalten und in einem aktiv-konstruktiven Gestaltungsprozeß
zu bewältigen sein. Dies bedeutet u.a.: Nur so wenig Restriktionen
und Vorgaben hinsichtlich des Lösungsweges wie nötig und so
viel Freiräume zur selbständigen Gestaltung und Entwicklung
eigener Lösungsstrategien wie möglich.
- Eine Reflexion und
Selbstbewertung des zu Beurteilenden muß gegeben sein. Dies kann
z.B. dadurch geschehen, daß eine vom Beurteilten vorgenommene Qualitätskontrolle
sich nicht nur auf das Arbeitsprodukt, sondern auch auf den Planungs-
und Arbeitsprozeß bezieht. Die dabei zutage tretenden subjektiven
Interpretationen sind bei der Fremdbeurteilung unbedingt zu berücksichtigen.
Also: der zu Beurteilende ist - zumindest indirekt - in den Bewertungsprozeß
einzubeziehen (z.B. durch ein "Expertengespräch" über
das erstellte Arbeitsprodukt o.ä.).
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Praktische Beispiele für handlungsorientierte
Lernerfolgskontrollen
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Wie können diese Forderungen im Ausbildungsalltag
praktisch umgesetzt werden? Einige Beispiele sollen dies verdeutlichen:
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Die Projektaufgabe
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Eine Gruppe von Auszubildenden soll eine komplexe Projektarbeit
bewältigen. Entsprechend ihrem Ausbildungsstand sowie den vorhandenen
(technischen u.s.w.) Möglichkeiten erörtern die Auszubildenden
mit Beratung durch ihren Ausbilder mögliche Aufgabenstellungen, definieren
dann jedoch ihr Vorhaben selbst (bspw. die Programmierung und Inbetriebnahme
eines Transport- und Handhabungssystems; oder die Anfertigung eines Schaltschranks).
Nachdem die Aufgabe durch die beteiligten Auszubildenden konkretisiert
und analysiert worden ist, legen sie mit ihrem Ausbilder gemeinsam Erfolgskriterien
sowohl bezüglich der Güte des Arbeitsergebnisses als auch bezüglich
der Vorgehensweise fest. Währende der Projektarbeit beobachtet und
berät (auf Anfrage) der Ausbilder die Auszubildenden regelmäßig.
Nach Beendigung ihrer Arbeit präsentieren die Auszubildenden das
Arbeitsergebnis und bewerten es gemeinsam mit dem Ausbilder. Außerdem
beratschlagen sie über Stärken und Schwächen der Vorgehensweise
und Arbeitsaufteilung. Auf Wunsch der Auszubildenden oder des Ausbilders
werden ggf. auch die Beiträge der einzelnen Auszubildenden begutachtet.
Sämtliche Beurteilungen richten sich nach den anfangs vereinbarten
Erfolgskriterien, wobei es sein kann, daß diese im Lichte neu gesammelter
Erfahrungen teilweise revidiert werden müssen.
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Die Praxisaufgabe
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Im Gegensatz zur Theorieklausur in der Berufsschule, die
i. d. R. aus schriftlichen Fragen und Aufgaben besteht und zumeist striktes
Kommunikationsverbot zwischen den Berufsschülern beinhaltet, soll
die Praxisaufgabe (man könnte auch Praxisklausur sagen): - eine für
die Schüler neue Konstruktionsaufgabe enthalten, - auf Gruppenarbeit
(zwei bis drei Schüler/innen) beruhen. Die Schüler erhalten
eine - etwa einen ganzen Schultag umfassende - vorgegebene Konstruktionsaufgabe
mit entsprechenden Informationen zu den ebenfalls vorgegebenen Rahmenbedingungen.
Je nach Berufsfeld kann dies z. B. sein: Planung einer größeren
Geschäftsreise; Erstellung eines komplexen Angebots; Entwicklung,
Aufbau und Test einer elektrischen Schaltung; Planung, Konstruktion und
Anfertigung einer kleineren Vorrichtung; u.s.w.. Im Rahmen der Praxisaufgabe
bzw. -klausur werden - je nach zugrundeliegender Kontruktionsaufgabe -
ein Arbeitsplan, das Arbeitsergebnis selbst sowie ein Untersuchungsbericht
(auch Konstruktions- oder Arbeitsbericht genannt) bewertet. Während
Arbeitsplan und Arbeitsergebnis als Gruppenleistung bewertet werden, ist
der Untersuchungsbericht von jedem Gruppenmitglied anzufertigen, also
eine Einzelleistung.
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Die schriftliche Fallaufgabe
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Im Rahmen einer schriftlichen Prüfung erhalten die
Auszubildenden zu Beginn eine komplexe Aufgabenstellung bzw. einen grob
umrissenen Fall, dessen Bearbeitung sich wie ein roter Faden durch alle
Prüfungsfächer durchzieht. Bei bauzeichnerischen und bauhandwerklichen
Berufen kann dies z.B. der Lageplan von einem Pkw-Stellplatz mit Gehweg
und Rinne sein. Die Auszubildenden beginnen zunächst mit einer je
eigenen zeichnerischen Lösung des vorgegebenen Lageplans (Prüfungsfach:
Technisches Zeichnen). Ausgehend von ihrer persönlichen Lösung
wählen sie geeignete Baustoffe u.s.w. aus und beantworten entsprechende
Fragen (Prüfungsfach: Technologie). Daraufhin führen sie entsprechende
Flächen-, Volumen- und Baustoffbedarfsrechnungen durch (Prüfungsfach:
Technische Mathematik). Zuletzt unterziehen sie ihre Lösung einer
abschließenden Bewertung nach teils vorgegebenen und teils selbst
eingeführten Kriterien.
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Die praktische Prüfungsaufgabe
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Im Rahmen einer praktischen Prüfung schlägt
der Auszubildende nach Beratung durch seinen Ausbilder und/oder Lehrer
dem Prüfungsausschuß zwei praktische Aufgaben vor. Bei den
metallverarbeitenden Berufen könnte dies z.B. die Erstellung eines
komplexen Werkstücks nach Zeichnung sein. Der Vorschlag ist an bestimmte
Vorgaben gebunden, z.B.: ein bestimmter Schwierigkeitsgrad ist einzuhalten,
der zeitliche Umfang beträgt 3 Tage, bestimmte Arbeitsverfahren müssen
vorkommen u.s.w.. Der Ausschuß wählt einen der beiden Vorschläge
als Prüfungsaufgabe aus und legt dazu ggf. notwendige Modifikationen
und Bedingungen fest. Die Erstellung des Werkstücks erfolgt nun selbständig
durch den Auszubildenden. Die Aufgabenlösung (in unserem Fall das
Werkstück) ist dem Prüfungsausschuß in einer Präsentation
vorzustellen und bildet den Gegenstand eines "Fachgespräches".
Dabei soll der Auszubildende seine Vorgehensweise begründen und ggf.
Alternativen darstellen. An der Bewertung ist er als Experte seines eigenen
Lernerfolgs mit Rede- und Vorschlagsrecht beteiligt.
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Zusammenfassung
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Obwohl die vier Beispiele ganz unterschiedliche Formen
von Leistungsbewertung betreffen, haben sie eine Tendenz gemeinsam: Es
wird versucht, typische berufliche Handlungen möglichst in ihrer
Gesamtheit zum Gegenstand der Beurteilung zu machen. Die bedeutet zugleich,
den Freiraum der Auszubildenden bei der Aufgabenbewältigung im Vergleich
zu herkömmlichen Prüfungsverfahren erheblich zu erweitern. Hinsichtlich
der hierbei auftretenden Bewertungsprobleme besteht noch erheblicher Forschungs-
und Erprobungsbedarf. Der dürfte sich aber lohnen, denn neue Entwicklungen
und Ansätze (z.B. "Entwicklung beruflicher Handlungskompetenz")
zu propagieren und mehr oder weniger unverbindlich einzuführen, ist
etwas anderes, als solche Forderungen und damit eine Neuorientierung in
der Berufsbildung durch veränderte Beurteilung und Prüfungen
tatsächlich zu manifestieren bzw. einzulösen.
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